Im Titan II Cold War Atomraketen Bunker Museum, Tucson

Nur wenige Kilometer südlich von Tucson steht seit 40 Jahren eine theoretisch immer noch einsatzbereite Atomrakete in einem Silo. Die Titan II Missile war mit ihrer 9 Kilotonnen Wasserstoffbombe Teil der nuklearen Abschreckung und hätte Russland in 36 Minuten erreicht. 53 der 54 in den 60er Jahren gebauten Atomraketen Silos wurden im Rahmen des SALT Abrüstungsprogramms zerstört, aber diesen einen haben sie aufgehoben. Mit Rakete.

Ein Relikt aus der Zeit des kalten Krieges, was der Öffentlichkeit im Rahmen einer Führung zugänglich ist. Abgesehen vom Raketensilo kann man im Kommandobunker herumklettern. Sämtliche Technik im verbunkerten Raketensilo ist funktionstüchtig erhalten.

Titan II Raketen Silo mit Atomrakete im Missile Museum Tucson

Für mich war der Besuch besonders spannend, denn einen vergleichbaren, tief unter der Erde vergrabenen Kommandobunker der Russen hatte ich 2019 in der Ukraine besucht. (Artikel)

Treppen Eingang zum Titan II Raketenbunker
Der unscheinbare Eingang zum Bunker. Hinten rechts im Bild ist die Klappe zum Fahrstuhl.

Die Mannschaft bestand aus 4 Soldaten, welche in 24 Stunden Schichten eingeteilt waren. Um in den Bunker reinzukommen benötigte die Mannschaft einen Einmalcode und hatte zwischen dem Telefon der oberen Tür und einem Telefon unten bei der Bunkertür exakt 3 Minuten Zeit, um nach unten zu gelangen.

War der Code falsch oder dauerte es zu lang wurde automatisch Alarm ausgelöst. Etwas bummeln hätte daher gereicht um ein Problem zu signalisieren und verdeckt Alarm auszulösen.

Vier Personen gehen eine Treppe mit gelb markierten Trittstufen hinunter
Unser Trupp auf dem Weg nach unten, es sind exakt 55 Treppenstufen.
Verstärkte Blast Door im Bunker vom Titan II Missile Museum
Der Eingangsbereich vom Bunker mit massiver Stahltür.

Die Anlage war für Atomschläge in der Nähe ausgelegt. Einen direkten Treffer hätte der Bunkerkomplex nicht überlebt, da er nur wenige Meter tief vergraben war. Aber die Wahrscheinlichkeit, eine in 2-3 Kilometern Entfernung explodierende Atombombe zu überleben war sehr hoch.

Rund um Tucson in Arizona waren 18 Raketensilos verteilt, die immer mindestens 15 Kilometer auseinander gelegen haben. Diese einzeln mit Atombomben auszuschalten wäre schwierig gewesen, dazu gab es weitere Silo Komplexe in Arkansas und Kansas.

Fünf Menschen stehen um ein Kontrollpult im Atomraketen Bunker  herum
Die Kommandozentrale mit dem Haupt Kontrollpult für den Raketenstart.

Im Falle eines Atomkriegs wäre die Prozedur wie folgt gewesen: über Funk wäre der Startcode / Startbefehl gekommen. Der MCCC (Missile Combat Crew Commander) und der DMCCC (Deputy Missile Combat Crew Commander) hätten die rote Box mit den Codes geöffnet.

Rote Metallbox mit zwei Codeschlössern für Geheimdokumente
In dieser Box waren die Startcodes hinterlegt. Pro Tag oder Schicht gab es immer neue Startcodes.
Kommandobunker mit Kontrollpult und Schaltschränken
Bei erfolgreichem Codeabgleich (rote Mappe im Bild) wäre die Rakete am Kontrollpult hochgefahren und startklar gemacht worden.

Die Titan II Atomrakete war bereits fix & fertig mit dem Treibstoff Aerozin 50 (Wikipedia) und dem Oxidator Distickstofftetroxid (Wikipedia) betankt. Diese beiden Stoffe sind ohne Kühlung lange lagerfähig, die Rakete konnte damit ständig betankt im Silo stehen und war sofort startbereit. Werden beide Stoffe im Raketentriebwerk gemischt zünden sie spontan: eine weitere Vereinfachung. Dieses robuste Design war für eine schnelle Reaktion oder Gegenreaktion mit Atomraketen perfekt.

Vom Freischalten & Hochfahren der Atomrakete und dem hydraulischen wegschiessen der 750 Tonnen schweren Siloabdeckung verging nicht mal eine Minute, danach konnte sie gezündet werden. Zum Zünden mussten beide Kommandanten gleichzeitig den Schlüssel im Startpult drehen.

Startkontrolle mit Schlüssel

Die beiden Kontrollpults waren räumlich getrennt, so dass für die Zündung immer zwei Personen benötigt wurden.

Schaltpult mit rot markiertem Schlüssel an der Seite
Der Schlüssel vom DMCCC war etwas versteckt, ich hab das mal mit einem roten Kreis markiert.

Der Start war abgesehen davon voll automatisiert. Im Raketensilo wären die Triebwerke 2 Sekunden lang auf 100% Leistung gegangen, um dann die Haltebolzen zu sprengen. Danach wäre die Atomrakete auf dem Weg zum einprogrammierten Ziel gewesen.

Keiner in der Mannschaft wusste, wohin der 9 Kilotonnen Fusionssprengkopf unterwegs gewesen wäre. Bis heute sind die Koordinaten geheim und auf dem Haupt Kontrollpult steht nur „Target 1 – 3“. Die Mannschaft war nur dafür verantwortlich, auf den Knopf zu drücken und sollte nicht etwa darüber nachdenken wie es z.B. wäre 10 Millionen Einwohner von Moskau auf einmal zu verdampfen.

Die Atombombe in der Titan II war etwa 300x stärker als die Hiroshima Bombe. Sie konnte am Boden explodieren, aber üblicherweise erfolgte die Zündung ein, zwei Kilometer über dem Ziel um dort für den Bruchteil einer Sekunde eine zweite Sonne zu erzeugen.

Spitze einer Atomrakete im Titan II Missile Museum
Blick auf die inzwischen leere Raketenspitze. Die Titan II im Museumsbunker ist aus Sicherheitsgründen auch nicht mehr betankt.
Tunnel zwischen Raketenbunker und Kommandozentrale
Kommandobunker und Raketensilo sind durch einen Tunnel verbunden. In der Mitte davon ist der Einstieg in den Bunker mit Treppe und Fahrstuhl.
Nahansicht der Titan II Rakete im Missile Raketen Museum Tucson
Wann hat man schon mal die Möglichkeit, einer echten Atomrakete so nah zu sein ?

Beide Raketenstufen waren bereits nach 6 Minuten ausgebrannt. Danach wäre der Atomsprengkopf rein ballistisch mit 25.698 km/h zum Ziel unterwegs gewesen. Für die damalige Zeit der 60er Jahre eine beachtliche Leistung.

Zum Glück dreht sich die Erde noch und ein Atomkrieg zwischen den USA und der Sowjetunion ist ausgeblieben. Ein Atomkrieg wäre für beide Seiten nicht zu gewinnen gewesen und hätte unsere Zivilisation entweder ausgelöscht oder in der Entwicklung um 1000 Jahre zurück geworfen.

Als Albert Einstein gefragt wurde, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg geführt werden würde war seine Antwort: er wisse es nicht, aber der vierte Weltkrieg würde mit Steinen und Holzknüppeln geführt werden.

Aufbau vom Titan II Atomraketen Bunker

Zeichnerische Darstellung vom verbunkerten Silo Komplex
Zeichnerische Darstellung vom verbunkerten Silo Komplex

Dieser lässt sich in drei Teile zerlegen: Kommandobunker mit runder Kuppel, Einstieg mit mehreren jeweils 3 Tonnen schweren hydraulischen Bunkertüren, der eigentliche Raketensilo.

Der Air Intake Shaft ganz links diente gleichzeitig als Notausstieg. Der Bunker hatte zwei VHF/UHF Antennen, die einen eigenen, kleinen Untergrundbunker hatten. Diese sind hier nicht dargestellt.

Zeichnerische Darstellung vom Atomraketen Silo Komplex

Diese quer über die USA verteilten 54 Anlagen waren alle gleich aufgebaut. Ich hab auf der Darstellung, welche eine Anlage von oben zeigt, die Positionen von Silo und Kontrollzentrum in grün eingezeichnet.

Zusätzlich hab ich die Betonfundamente zum abstellen der Treibstoff / Oxidator Tankfahrzeuge markiert. Diese sind nach dem Rückbau der Anlagen fast immer erhalten geblieben. Durch ihre markante, um 45° verdrehte Position an der Oberfläche lassen sie einen Rückschluss darauf zu, wo der Silo einmal gewesen ist. Oder wo sich der Kommandobunker immer noch unter der Erde befindet.

Beim Rückbau in den 80er Jahren wurde der Kommandobunker jeweils leer geräumt, aber nicht gesprengt. Gesprengt wurden die oberen 8 Meter vom ebenfalls entkernten Silo, um die Grube nach 30 Tagen mit Schutt oder Erde zu füllen. Die Russen hatten daher einen Monat Zeit, den Fortschritt mit Spionagesatelliten zu beobachten.

Spurensuche rund um Tucson

Nach dem Rückbau der Bunker wurden die Grundstücke zusammen mit dem angrenzen Land verkauft oder gingen in den Besitz der jeweiligen Gemeinde über. Oft wussten die Käufer überhaupt nicht, dass sie neben dem Ackerland Relikte aus der Zeit des kalten Krieges erworben hatten.

Metalle oder brauchbare Ausrüstung sind vor der Abrüstung ausgebaut worden, aber der Tunnel, der untere Eingangsbereich und der Kommandobunker sind in den meisten Fällen strukturell erhalten geblieben. Bei der Abrüstung ging es vor allem darum, die Raketen und den Raketensilo sichtbar für die Russen zu zerstören.

Die Titan II Raketen wurden auf dem „AMARG Airplane Graveyard“ in Tucson eingelagert, wo auch heute noch tausende Flugzeuge abgestellt sind. Ein Teil ist verwendet worden, um damit Wettersatelliten in eine Umlaufbahn zu schiessen.

Beim Titan II Missile Museum wurde die Siloabdeckung halb offen stehen gelassen und die Hydraulik dafür entfernt. Die Rakete kann daher nicht mehr gestartet werden, weil die Abdeckung im Weg wäre. Abgesehen davon ist die Anlage für Besucher geöffnet und nicht mehr geheim.

Ich war nach dem Museumsbesuch in der Umgebung von Tucson unterwegs, um mir die ehemaligen Abschuss Silos anzuschauen. Fast immer handelt es sich um Privatgrundstücke, mit Verbotschildern und Absperrungen. Besuch unerwünscht und schon gar nicht von Leuten mit einer Schaufel in der Hand.

Trotzdem sind dabei ein paar interessante, aufschlussreiche Aufnahmen entstanden.

Site 571-5 Madera Canyon

Schilder mit Verboten vor der Titan II 571-5 Missile Site

Das Grundstück im Madera Canyon liegt mehr oder weniger brach. Es scheint als Lagerplatz benutzt zu werden und ist nicht öffentlich zugänglich. Unzählige Verbotschilder garnieren den Eingang.

Luftbild der 571-5 Anlage im heutigen Zustand
Markant sind die beiden Beton Fundamente für die Tankfahrzeuge. Ein typisches Erkennungsmerkmal der Titan II Startanlagen.
Eingangsbereich der 571-5 Site
Der ehemalige Eingang, die Türen in den Boden sind jedoch fest verschlossen. Links Treppe, rechts Fahrstuhl. Mit ziemlicher Sicherheit ist darunter alles mit Beton zugegossen.

Site 571-6 Arivaca Amado

Luftbild der Titan II Site 571-6

Auf dem Grundstück dieser Anlage wurden inzwischen Wohngebäude errichtet. Es ist alles weitläufig abgesperrt. Auf dem Fundament vom Eingang wurde ein kleines Haus gebaut.

Site 570-9 Vista de la Montana Church

Dieser Platz hat eine ganz besondere Verwandlung erfahren: auf dem ehemaligen Raketensilo wurde eine Kirche errichtet. Ich war durch die Gemeinde herzlich eingeladen, mich vor Ort umzusehen.

Luftbild der Titan II Site 570-9 mit Kirche
Luftbild der Anlage im heutigen, stark überbauten Zustand.
Eingang der Vista de la Montana Church
Etwa dort, wo früher der Rakenensilo war befindet sich die christliche Vista de la Montana Church der Methodisten. Ein einladender Ort mit freundlichen Menschen, Gehwegen & sorgfältig gepflegter Vegetation.
Betonfundament am Rand der Site 570-9
Erhalten geblieben sind einzelne Silos / Manholes und Wartungsschächte, am Rand vom Parkplatz.

Von Eingangsbereich des damaligen Bunkers ist nichts mehr zu sehen, etwas weiter östlich ist jedoch der Hubschrauber Landeplatz erhalten geblieben.

Betonfundament der HF Antenne am Rand der Site 570-9
Das müsste der Bunker der HF hard antenna gewesen sein.
Luftaufnahme der Site 570-9 mit drei erkennbaren Betonfundamenten

Site 571-4 Old Sonoita Highway

Dieses Gelände gehört der Gemeinde, die hier intensiv Erde bewegt hat. Dadurch sind die Kuppel vom Kommandobunker und der Schacht von Einstieg freigelegt worden. Leider ist dort betreten verboten, ich war von der falschen Seite aus für Fotos unterwegs und hab das Schild erst beim verlassen bemerkt.

Freigelegte Kuppel der Kommandozentrale Site 571-4
Die Kuppel vom Kommandobunker und der versiegelte Einstieg mit Treppe und Fahrstuhl.
Historische Aufnahme beim Bau der Titan II Kommandozentrale
Die gleiche Perspektive während der Bauphase
Freigelegter Kommandobunker der Site 571-4 mit Treppenschacht
Beide Bestandteile nochmal aus einer etwas erhöhten Perspektive aufgenommen. Die Betonkuppel vom Kommandobunker hatte eine zusätzliche Stahlhaut als EMP Härtung.
Mit Beton vergossene Röhre eines ehemaligen Notausstiegs
Das ist vermutlich der Notausstieg. Eine Leitersprosse ist noch zu erkennen. Die Röhre wurde mit Beton verfüllt und dann rausgerissen.
Betonfundament einer HF Antenne Titan II Missile Site 571-4
Das war die verbunkerte Untergrund HF Antenne, Schacht ebenfalls mit Beton verfüllt.
Solos der IRCS Antennen und Kommandobunker der Titan II Missile Site 571-4
Die Kuppel war ursprünglich ca 10 Meter tief vergraben. Im Hintergrund sind links die zwei Silos der IRCS (intercomplex radio communications) Antennen zu sehen. Der kleine, viereckige Stumpf hab ich als „Manhole J“ identifiziert, ein Wartungsschacht für Kabel.
Mahole J Betonwürfel der Titan Missile Site 571-4
„Manhole J“ war extrem gut bewacht. Dort in dem Loch haben sehr aggressive Killerbienen (Wikipedia) gehaust. Ich bin für dieses Foto sofort 2x gestochen worden.

Es gibt Bienenstich (Wikipedia), was bei uns in Deutschland ein sehr leckerer Vanillecreme Hefekuchen belegt mit Mandeln ist. Ein Klassiker deutscher Backkunst & sehr lecker. In den USA dafür Killerbienenstich: das hab ich gekriegt. Glückwunsch.

Luftbild der Titan II Missile Site 571-4

Insgesamt war dieser Komplex am interessantesten, weil viele Teile freigelegt wurden und man so eine Menge über diesen Typ von Anlagen lernen konnte.

Meine wichtigste Aufgabe war es, alles gut zu dokumentieren. Um diese interessanten Funde aus der Zeit des kalten Krieges digital für die Nachwelt zu erhalten. Die Grundstücke werden im laufe der Zeit eine andere Nutzung erfahren und vermutlich überbaut werden.

Am Eingang der ehemaligen Titan II Anlage am Old Sonoita Highway ist eine ebene Betonfläche, die früher der Hubschrauberlandeplatz war. Hab dort super über Nacht geparkt. Keine Verbotschilder und auch nicht abgesperrt.

Koordinaten: 31.9568, -110.6595 (Google Maps)

DAF T244 LKW parkt in Wüstenlandschaft mit Sonnenuntergang

Die USA haben immer noch aktive Raketensilos ! Ein aktueller Silo ist zum Beispiel hier: 41.13753,-104.06215 (Google Maps) und beherbergt die Minuteman III. Das Programm ist nicht besonders geheim, selbst die Wikipedia (link dazu) oder Google listet alle Standorte auf.

Vermutlich gibt es dann in ein paar Jahren die Gelegenheit, in den Minuteman III Atomraketen Bunkern herumzuklettern oder sie für private Zwecke zu erwerben. Minuteman III hat nicht 9 Kilotonnen so wie die Titan II, was allein schon schlimm genug ist, sondern Megatonnen.

Hoffentlich werden diese Waffen nie durch die Amerikaner, Russen oder Chinesen eingesetzt ! Dass Leute wie Putin, Trump, Kim Jong Un, Xi oder der Inder Modi Zugriff auf Atomwaffen haben finde ich wirklich sehr beunruhigend. Personen daher, die teilweise komplett irre sind.

Webseite vom Museum: titanmissilemuseum.org

Liste mit Koordinaten zu den Titan II Silo Sites: www.themilitarystandard.com

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